Mein fünfjähriger Sohn durfte gestern, während ich die Wäsche aufhing, auf meinem Smartphone spielen. Es gibt da nämlich eine App, in der man Smileys tippen kann, die sich bewegen, sobald man sie absendet. Das findet er besonders lustig.
Da gibt es ein lachendes Gesicht, das sich rumrollt, und ein verliebtes, um dessen Kopf Herzchen kreisen. Das wütende Gesicht wird ganz rot und - das findet mein Sohn auch ziemlich lustig - ein Gesicht, dem übel ist, und dass sich dann übergibt.
Und dann gibt es da den Teufel. In seinem Übermut hat Justus ihn angetippt, ohne groß darüber nachzudenken. Als er ihn dann abschickte und dieser plötzlich sein böses Gesicht zeigte, war er aber doch ganz schön erschrocken.
"Mama, der sieht fies aus!", sagte er auf einmal. "Was kann den Teufel besiegen?"
Ich musste ein bisschen darüber schmunzeln, weil er diese fromme Formulierung gewählt hatte und hab ganz spontan „Tja, das kann nur Gott." geantwortet.
Er überlegte kurz und wählte dann einen Engel-Smiley 😇 aus. Dann grinste er und wählte ein Gesicht mit Partyhut und Tröte und ich dachte, damit wäre die Sache erledigt.
Doch dann fiel sein Blick wieder auf den Teufel, der immer noch im Anzeigefenster zu sehen war und weiterhin böse lachte. Mein Sohn wurde unruhig und tippte ein paar Mal wild herum. Dann schrie er plötzlich auf. "Mama! Der Teufel geht nicht weg! Der soll aber wieder weggehen."
"Das stimmt. Wenn du ein Gesicht ausgewählt und es abgesendet hast, kannst du es nicht mehr löschen. Tipp einfach auf einen anderen Smiley.", erwiderte ich.
Justus ärgerte sich so sehr, dass er gar nicht mehr weitermachen wollte. Ich merkte, dass er jetzt wirlich meine Hilfe brauchte und setzte mich zu ihm.
"Warum willst du denn, dass der Teufel verschwindet?", fragte ich.
"Er macht mir Angst mit seinem bösen Gesicht."
"Aber Gott hat ihn doch besiegt", antwortete ich und deutete auf den Engel-Smiley.
"Ja, aber ich kann ihn immer noch sehen." In diesem Moment wurde mir die Symbolik der Situation bewusst.
"Weißt du, Justus, manchmal machen wir einen Fehler. Aber anstatt uns darüber zu ärgern, können wir diesen Fehler vor Gott bringen und um Vergebung bitten." Ich tippte auf einen Engel und der Teufel rückte ein wenig nach oben. "Und das können wir jedes Mal tun, wenn uns diese Erinnerung an unsere Schuld davon abhält weiterzumachen." Ich tippte noch mal auf einen Engel und der Teufel rückte weiter. Das wiederholte ich bis er ganz aus dem Bildschirm verschwunden war.
"Jetzt ist der Teufel nicht mehr zu sehen!", freute er sich." Gott hat ihn besiegt und ich tippe ihn nicht nochmal an. Dann kommt er auch nicht wieder."
Er nahm das Smartphone und tippte fröhlich weiter auf die bunten Gesichter.
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Diese Situation führte mir vor Augen, wie schwer Schuld auf einem Lasten kann. Als Christen wissen wir, wie wir mit Schuld umgehen können. Wir dürfen sie vor Gott bringen und um Vergebung bitten und wissen, dass er uns in seiner Gnade diese Schuld vergeben wird. Und doch kann uns die Erinnerung daran, der Schmerz, die Trauer, Wut und Scham, dennoch immer wieder einholen und auf unser Leben Einfluss nehmen.
Du und ich, wir sind Sünder und haben durch unser Verhalten Schuld auf uns geladen. Diese Schuld trennt uns von Gott, trennt uns von der Liebe, und hält uns manchmal davon ab, weiterzumachen. Unsere Fähigkeiten zu nutzen. Das Leben zu leben. Den Alltag zu bewältigen.
Gott wurde Mensch in seinem Sohn Jesus Christus. Er hat all das Leid, das wir täglich erleben, selbst erlebt und versteht uns deshalb. Durch den Tod am Kreuz hat Jesus all unsere Schuld auf sich genommen. Er nahm sie von uns und machte uns damit frei, um uns den Weg zurück zu Gott - zurück zur Liebe und zum Leben - zu ermöglichen. Dabei handelt es sich um eine einzigartige Liebestat.
Und davon dürfen wir immer wieder profitieren. Und zwar jedes Mal, wenn wir Schuld auf uns geladen haben. Und auch jedes Mal, wenn wir uns an diese Schuld erinnern und der Schmerz daran wieder hochkommt.
Um auf die Smiley-Symbolik zurückzukommen: Der Teufel ist der Punkt in unserem Leben, an dem wir eine schwere Sünde begangen haben. Das griechische Wort für Sünde "harmartia" bedeutet Zielverfehlung. Sündigen heißt also daneben treffen.
Ich visiere zwar das richtige und gute Ziel an, aber ich bin nicht gesammelt und ausgerichtet genug, um es zu erreichen. Dabei geht es um eine Ausrichtung, die sich an Gottes Werten und seinem Gesetz orientiert. Der Kirchenvater Augustinus sagte:
"Suche, was du suchst - aber suche es nicht da, wo du es suchst!"
Wir neigen dazu die Dinge selbst in die Hand nehmen zu wollen und nutzen dann aber die falschen Mittel und Wege. Wir haben oft das richtige Ziel vor Augen - unsere Ehe zu retten, einen guten Job zu finden, Erfolg zu haben, möglichst viele neue Mitglieder in die Gemeinde zu locken - doch wir vergessen dabei, wer derjenige ist, der uns den richtigen Weg weist und der von uns erwartet, dass wir ihn danach fragen.
Sünden sind Versuche der Lebensbewältigung oder Lebenssteigerung. Und das ist nichts Schlechtes im eigentlichen Sinne. Aber durch unsere von Gott abgewandte Natur vergessen wir immer wieder, dass er derjenige ist, der unser Leben vollkommen macht. Gott schenkt das Gelingen. Dafür brauchen wir uns nur an ihn zu wenden.
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[spätere Anmerkung der Autorin, 19.01.2025: Mittlerweile distanziere ich mich bewusst vom Enneagramm und spreche keine Empfehlung mehr aus - eine ausführlichere Begründung dazu findest Du hier]
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Meine persönliche Wurzelsünde ist die Unmäßigkeit - die sogenannte Völlerei. Und dabei geht es nicht hauptsächlich um Essen und Trinken. Es geht um ein überzogenes Bedürfnis nach Glück, Freude, Spaß und Vergnügen.
Wenn etwas nicht meinem Ideal entspricht, dann ist die Enttäuschung darüber oft groß. Ich habe sehr lange gebraucht, und lerne noch immer, den Schmerz über bestimmte Dinge auszuhalten, die ich persönlich nicht ändern kann.
An schwachen Tagen begebe ich mich dann selbst auf die Suche und versuche mein Leben zu optimieren. Und damit renne ich der Sünde voll in die Arme.
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Unser Gott ist ein gnädiger Gott und diese Gnade erweist er uns immer wieder aufs Neue. Im Gebet trete ich vor Gott und bitte ihn um Vergebung. Und er vergibt mir.
Ich kann dann mein Leben fortsetzen. Aber an schwachen Tagen fällt mein Blick immer wieder auf meine Verfehlungen zurück. Und jedes Mal will ich diesen Schmerz vermeiden und beginne darüber nachzudenken, was ich tun kann, damit das nicht mehr passiert. Ich verliere mich in Ablenkungen, greife immer wieder zum Smartphone oder erledige möglichst viele Aufgaben.
Ich versuche ein Leben zu inszenieren, in dem es keinen Karfreitag gibt, sondern wo ständig Ostern ist. Ich will mich des Lebens freuen. Ich will fröhlich sein anstatt traurig.
Vielleicht geht es Dir ähnlich und Du bist von deiner Persönlichkeit her ein Optimist. Du findest in jeder Situation etwas Gutes.
Wie kann das denn etwas Schlechtes sein? Wenn alles grau ist, den Silberstreifen zu finden. Das klingt doch nach einem richtig guten Ziel.
Ist es auch! Aber in unserem Drang das Ziel zu erreichen, verfehlen wir es oftmals. Hamartia, Zielverfehlung, Sünde.
Sünden sind Mogelpackungen; sie versprechen etwas, was sie nicht halten können. Wir denken schnell, dass wir etwas ändern müssten, weil nicht alles fröhlich ist, weil nicht alles perfekt ist, weil bestimmte Dinge immer wieder schief laufen, unsere Partner uns immer wieder verletzten.
Obwohl unsere Sünden zum Teil Reaktionen auf fremdes Verhalten und fremde Schuld sind, haben wir diese Sünden gewählt und halten hartnäckig an ihnen fest.
Im Fall von Völlerei, dem Übermaß:
Mehr ist besser. Es gibt etwas Gutes daran und ich werde es finden. Ich kann doch nicht Nichts tun. Ich kann den Schmerz vermeiden, wenn ich nur ein paar Dinge an meinem Leben optimiere. Ich werde glücklicher sein, wenn ich nur das verändert habe. Ich werde im nächsten Semester organisierter sein, weil ich dann ein neues Tablet habe, das mir das Leben erleichtert. Wenn ich beim Friseur war, werde ich mich in meiner Haut wohler fühlen, weil ich dann besser aussehe. Nur noch diese eine Sache erledigen, dann werde ich beten. Nur noch etwas mehr davon, dann ist es besser.
Im deutschen Wort Sünde steckt die Wurzel 'sund', was so viel wie "Kluft" oder "Trennung" bedeutet.
Sünde bedeutet Trennung von Gott, aber auch von unseren Mitmenschen und von uns selbst. Solange wir andere beschuldigen, Dinge und Umstände dafür verantwortlich machen, dass wir nicht glücklich sind, dass wir noch nicht die beste Version unserer Selbst sind, kann die Trennung nicht überwunden werden.
Wir müssen für unser Leben Verantwortung übernehmen.
Konkret bedeutet das, dass wir erkennen müssen, was unsere Sünde ist. In welche Falle tappen wir immer wieder? Wovon lassen wir uns immer wieder leiten?
Zorn, Stolz, Lüge, Neid, Gier, Angst, über- Mäßigkeit, Schamlosigkeit oder Faulheit?
Das daraus resultierende Verhalten trennt uns von Gott und unseren Mitmenschen. Es zerstört Beziehungen. Und wenn wir unser Fehlverhalten aufgedeckt haben, dann müssen wir es vor Gott bringen. Und zwar jedes Mal. In jeder Situation, die uns schmerzt.
Und wir müssen dran bleiben. Immer, wenn wir von Gott wegschauen, werden wir den Teufel sehen. Er wird uns anlachen, uns belügen, verunsichern, Zweifel säen.
Und deshalb müssen wir immer wieder zu Gott kommen, beten, mit ihm darüber sprechen, was den Tag über passiert ist, ihm unsere Gedanken sagen:
* Gott, ich bin so wütend. Warum kann mein Sohn nicht endlich mal alles richtig machen und tun, was ich sage? Ich hab doch recht.
* Gott, ich hab doch alles für meine Mutter gemacht. Ich hab ihr Blumen gekauft, habe ihre Bettwäsche gewaschen und sogar die Fenster geputzt. Ich habe ihr doch geholfen, obwohl sie mich gar nicht darum gebeten hat. Wieso hilft sie jetzt mir nicht, obwohl ich das verdient habe?
* Gott, mein Mann macht mich so unglücklich mit seinem Verhalten. Er verhält sich nie so wie die anderen Männer, spricht nie so liebevoll, schenkt mir nie Blumen. Ohne ihn wäre ich bestimmt besser dran.
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Das Gespräch mit Gott, die Reflektion unserer Gedanken mit diesem liebevollen, vollkommenen Gegenüber, zeigt uns unsere Schwächen auf und wird uns zur Umkehr bewegen. Es wird uns dazu bringen zu erkennen, zu lernen und Taten der Liebe zu tun.
Was wir verstehen dürfen, ist, dass wir Nichts außerhalb von uns brauchen, um glücklich zu sein. Nicht wir sind unseres eigenen Glückes Schmied. Gott ist es.
Wir dürfen uns der Realität der Welt stellen, die immer eine Mischung aus Freude und Schmerz ist. Eine Welt die unvollkommen ist, in der alle Menschen gleich wertvoll sind. Keiner ist besser als der Andere. Nicht Leistung, besondere Moral oder Verzicht, machen uns zu besseren Menschen. Nicht Dinge, Umstände oder andere Menschen sind für unser Glück verantwortlich. Gott allein ist es.
Und das ist die wahre Hoffnung. Freude angesicht des Schmerzes. Freude in der Not. Nicht oberflächliche Freude, sondern nüchterne Freude. Angesichts und trotz aller Schwierigkeiten des Lebens.
"Dennoch bleib ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand. Du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich schließlich mit Ehren an."
Psalm 73,23+24
Und das ist der wahre, fortwährende Silberstreifen am Horizont.
Wir gehen diesen Weg durchs Leben nicht allein. Wir gehen ihn mit Gott.
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