Ich hatte immer eine ganz genaue Vorstellung davon, wie mein Leben laufen würde. Nicht im einzelnen, denn ich freute mich vor allem auf das bunte, unvorhersehbare Abenteuer des Lebens, aber im Großen und Ganzen wollte ich glücklich sein. Das war das höchste Ideal meines Lebens und danach habe ich alles ausgerichtet. Ohne, dass mir das wirklich bewusst war.
Und wer will das nicht? Glücklich sein. Das ist doch etwas Gutes.
Das Gegenteil davon wäre ja unglücklich zu sein. Und das will doch keiner!
Jetzt bin ich zehn Jahre älter und sehe alles differenzierter. Ja, natürlich will ich immer noch glücklich sein. Aber nicht mehr um jeden Preis. Denn, was mir nicht bewusst war, war, dass hohe Ideale auch immer große Opfer erfordern. Nicht leistbare Opfer.
Als Beispiel: Eins meiner Ideale war den Rest meines Lebens mit einem Mann an meiner Seite zu verbringen.
Ich bin selbst als Scheidungskind aufgewachsen. Es war für mich nie schlimm, dass Mama und Papa kein Paar waren. Ich erinnere mich gar nicht daran, dass sie es jemals waren. Schlimm waren für mich die Konflikte, die damit einher gingen.
Meine Mama hatte die Verletzungen, die mein Papa angerichtet hatte, nie ganz verwunden. Und obwohl sie meinen Vater, einen liebevollen, treuen Mann, fand und mit ihm neu Familie gründete, spürte ich noch lange Zeit die Nachwirkungen der nie verheilten Wunden. Der Dinge, die sie nie vergeben konnte.
Mein Papa hatte ständig neue Partnerinnen. Klar, lag das nicht nur an ihm, auch die Frauen blieben nicht, aber der ständige Wechsel stärkte in mir den Wunsch immer nur einen Partner zu haben.
So wuchs ein geradezu unerreichbares Ideal: eine immer glückliche Ehe zu führen.
Dass eine Ehe nicht immer glücklich ist, ist die Realität, in der sich alle Ehen bewegen. Mir war das leider nicht bewusst und das hat es für mich noch schwerer gemacht. Ich bin aber davon überzeugt, dass die Ehe eine gute und solide Verbindung sein kann, wenn
1. beide es wollen, 2. das Vertrauen nicht durch Ehebruch zerstört wurde und 3. beide immer wieder in die Beziehung investieren.
Wir waren selbst jahrelang in der Ehetherapie, die uns sehr gut geholfen hat und das empfehle ich auch allen anderen Paaren, bei denen es zu Schwierigkeiten kommt. Beratungsgespräche mit dahingehend ausgebildeten Pastoren, Seelsorgern oder Ehetherapeuten können viele Probleme lösen.
Im Fall meines Mannes und mir lag aber Ehebruch vor, der das Vertrauen zerstört hat, das wir trotz jahrelanger Reparaturarbeiten nicht wieder herstellen konnten. Was auch nicht bedeutet, dass das in jedem Fall so kommen muss, aber es ist wirklich schwer dieses Grundvertrauen zu erneuern.
Warum wollen wir unbedingt glücklich sein?
Doch nicht nur im Bereich der Paarbeziehung wollte ich absolut glücklich sein, sondern auch beruflich, in Bezug auf Freundschaften und Gemeinde, und sogar im Hinblick auf Gott erschuf ich ideale Erwartungen, die mich leiteten. Wurden sie enttäuscht, hatte das immer negative Konsequenzen.
Mein inneres Bedürfnis jederzeit möglichst glücklich zu sein, führte dazu, dass ich viel Schuld bei anderen suchte. Bei meinem Mann, meiner Mama, meinem Papa, den Umständen,... Bis mir durch Jesus bewusst wurde, dass der grundlegende Fehler bei mir lag. Sünde war die Antwort darauf, warum ich eigentlich nicht glücklich war. Dadurch, dass Jesus in mein Leben kam, war mir bewusst geworden, dass ich eine Sünderin bin. Das öffnete mir die Augen dafür, die Schuld nicht die meiste Zeit nur bei anderen zu suchen.
Ich neigte im anderen Extrem übrigens dazu die Schuld nur bei mir zu suchen und mich selbst fertig zu machen. Auch das war nicht gesund. Es ist quasi das klassische "von der anderen Seite vom Pferd fallen". Aber dadurch, dass ich gnädiger mit anderen umzugehen lernte, konnte ich auch gnädiger mit mir selbst umgehen und andersrum.
[spätere Anmerkung der Autorin, 19.01.2025: Mittlerweile distanziere ich mich bewusst vom Enneagramm und spreche keine Empfehlung mehr aus - eine ausführlichere Begründung dazu findest Du hier]
Lange konnte ich aber nicht so richtig greifen, was der Kern meiner Abwendung von Gott war. Man sagt dazu auch Wurzelsünde.
Durch die Arbeit mit dem Enneagramm, einem christlichen Persönlichkeitsmodell, konnte ich diese Wurzelsünde ausfindig und für mich greifbar machen. Das Enneagramm lieferte mir die Worte, um mein Problem zu beschreiben, und auch die Methode, wie ich damit umgehen kann.
Krankhafter Idealismus, heutzutage auch gerne als toxische Positivität bezeichnet, ist meine tiefste Versuchung. Ich muss mir sicher sein, dass ich mich für eine gute Sache einsetze, die mir selbst und anderen Menschen Freude macht. Ich möchte, dass alle Menschen glücklich sind. Das führt beispielsweise dazu, dass ich die Dinge verleugne, die negativ sind, Dinge also idealisiere. Dabei ist es egal, ob es sich dabei, um mich selbst, die Beziehung zu meinem Partner, den Job, mein Hobby, die Gemeinde oder was auch immer handelt. Ich war generell erstmal enthusiastisch und begeistert von einer Sache und stand dann absolut dahinter, vergaß dabei aber die negativen Seiten zu prüfen.
Im Fall meiner Ehe war es so, dass ich schon lange nicht mehr glücklich mit der Beziehung war. Ich hatte kein Vertrauen mehr in meinen Mann. Da ich aber mein Ideal einer immer währenden Ehe nicht aufgeben wollte, - und das ist in diesem Fall ganz wichtig zu unterscheiden "das Ideal", nicht die Ehe an sich - kämpfte ich sehr darum. Mir war das nicht bewusst. Ich war davon überzeugt für unsere Ehe zu kämpfen.
Das hatte auch viel positiven Effekt: Die Ehetherapie half an einigen Punkten sehr. In der Gemeinde wurde ich dafür bewundert, dass ich so offen mit unseren Problemen umging, um Hilfe und Gebet bat und mich in der Ehearbeit engagierte. Und eben auch den, dass unsere Ehe trotz der Probleme, die wir hatten länger hielt.
Aber wie es so ist, wenn man sein Haus auf sandigen Grund baut (Matthäus 7,24-27), irgendwann kommt der Regen und stürzt es ein. Im Fall unserer Ehe kam er zweimal. Nach unserer ersten Trennung stieg ich auf einen Berg und bat Gott um Rat und er sagte mir, dass diese Ehe mein Weg sei.
Ein paar Monate danach gaben wir uns noch eine zweite Chance und es lief zunächst auch richtig gut bis zu dem Zeitpunkt als die nächsten Tropfen fielen. Nach der zweiten Trennung bat ich Gott wieder um Rat und er sagte mir, dass ich ihm vertrauen sollte. Und im Vertrauen auf ihn, ließ ich los.
Und das war der Punkt, an dem ich heute erkennen kann, dass es sich bei dem jahrelangen Kampf um unsere Ehe um einen Kampf um ein Ideal gehandelt haben muss. Denn ich hätte ja im Vertrauen auf Gott genauso gut, an der Ehe festhalten können. Doch das tat ich nicht. Mein tiefster Herzenswunsch, in dem Moment als Gott mir versprach, dass ich nicht tiefer fallen könne als in seine Hand, war, diese Ehe loszulassen.
Im Nachhinein quälte ich mich noch viel mit dem Gedanken, dass mein eigenes Bedürfnis mit dem Glück anderer kollidiert. Mein Mann entschied sich bereits nach kurzer Zeit dafür, dass er die Ehe weiterführen wollte. Meine Kinder sind häufig traurig darüber, dass wir nicht mehr mit Papi zusammen wohnen und ich spüre die Enttäuschung aller Menschen in unserer Familie und Gemeinde, die für uns gebetet und sich erhofft haben, dass unsere Ehe nach all den Jahren des Kampfes bestehen bleibt. Es ist ein Schmerz, dem ich nicht entkommen kann. Ich musste und muss mich damit auseinander setzen. Denn diesen Schmerz hat nicht Gott verursacht. Ich selbst habe den Raum dafür geschaffen, indem ich einem falschen Ideal nacheiferte und damit auch vielen anderen Menschen weh getan.
Trotzdessen empfinde ich nun Freiheit und Dankbarkeit, denn dieses Erlebnis - dass Gott da ist, um mich aufzufangen - hat mir in vielen anderen Bereichen meines Lebens die Freiheit gebracht die falschen Ideale loszulassen, die mir vorgaukeln, dass ich glücklich sein werde, wenn ich sie endlich erreicht habe. Denn das ist es, was Ideale tun. Sie erschaffen ein Luftschloss, dass wir unbedingt erreichen wollen. Sie geben uns die Motivation bis dorthin zu fliegen. Doch, wenn wir da sind, dann ist dort nur Luft. Und wir selbst sind noch immer unglücklich und dann auch noch kraftlos, weil wir all unsere Energie in das Erreichen eines Ziels gesteckt haben, das am Ende gar nicht die ersehnte Erlösung bringt, die wir suchen.
Sich nach dem wirklichen Ziel ausrichten.
Ich habe viel verloren, dadurch, dass ich unzähligen Idealen hinterher gelaufen bin. Das Vertrauen anderer Menschen, Geld, Zeit und ich habe natürlich auch selbst viel Schmerz erlitten, da ich mich selbst und andere immer wieder enttäuscht habe. Selbstgewähltes Leid könnte man sagen. Fein, sagte ich mir, dann bin ich jetzt an dem Punkt, dass ich mir ein anderes Leid wähle.
"Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht."
Matthäus 11,29-30
Ich neige dazu den fünften Schritt vor dem ersten zu tun. Ich bin ein ergebnisorientierter Mensch. Daher bewarb ich mich am Anfang des Theologiestudiums für eine Stelle als Kinder- und Jugendreferentin in einer befreundeten Gemeinde. Einfach so, um zu schauen, ob es was für mich ist, um zu lernen wie der Hase im Gemeindegeschäft so läuft und weil ich sehr begeistert bin von der Vision der Gemeinde. Als ich die Absage für die Stelle erhielt, die ich schon erwartet hatte, sagte der Pastor etwas, das hängen blieb und das sich so zusammen fassen lässt:
In Gemeinde neigen wir oft dazu engagierten Menschen schnell Leitungspositionen anzubieten, weil sich so wenige dafür interessieren. Wir sollten mehr darauf achten, dass die Menschen lernen Jesus ähnlicher zu werden. In meinem Kopf leuchtete ein Satz auf, der von dem Zeitpunkt an, einer meiner Leitsätze wurde "Nimm dir Zeit zu lernen."
Je mehr ich mich damit beschäftige, desto sicherer bin ich mir damit, dass Jetzt und Hier die Zeit zum Lernen ist, und dass erst in der Ewigkeit die Zeit ist, wenn wir vollkommen sind und die tatsächliche Rolle einnehmen werden, für die Gott uns gedacht hat.
Wir fragen alle danach, was Gottes Plan für unser Leben ist. Die Antwort scheint mir zu sein, dass der Weg das Ziel ist und dass sich erst am Ende dieses Lebens das entfalten wird, wofür wir gemacht sind.
Mein neues Ideal ist also ein erreichbares. Ich wirke mit Gott mit. Ich komme meinen Stolpersteinen auf die Schliche, helfe anderen ihre zu entdecken und aus dem Weg zu räumen, lerne Jesus besser kennen, um ihm ähnlicher zu werden und versuche das richtige Maß für die Dinge zu finden, damit ich nicht von der einen oder anderen Seite vom Pferd falle. Ich gehe die Dinge nüchtern an statt enthusiastisch. Lasse mir Zeit Situationen zu erforschen und werde erst tätig, wenn ich ein klares Ja von Gott habe, dass ich an dieser Stelle loslegen darf.
Wenn Du mehr von meinem Weg lesen möchtest, schau gerne regelmäßig in diesen Blog oder auch auf meine Instagramseite. Ich freue mich immer über Nachrichten an die unten angegebene Emailadresse, seien es Gebetsanliegen, Kritik oder andere Anregungen.